Eisenbahnforum Vogtland » Betriebsalltag einst und jetzt » Allgemeines rund um die Bahn » Zukunft des Bahnfernverkehrs in Südwestsachsen und Nordostbayern

Aus der Sächsischen Zeitung vom 21.12.2020
"Weder der Bund noch der Freistaat haben einen Plan, um Chemnitz bis zum Jahr 2025 an den Fernverkehr anzubinden.
Anja Schmotz, stellv. Bundesvorsitzende von Pro Bahn
Sachsens Landespolitik hätte viel eher und mit viel mehr Nachdruck auf den Ausbau der
Strecke Leipzig–Chemnitz drängen müssen.
Von Michael Rothe
Fernverkehr? „Welcher Fernverkehr“, entgegnet Anja Schmotz ironisch auf die Frage der SZ, was sie mit Blick auf die
Schnellzuganbindung von Europas Kulturhauptstadt 2025 denke. Chemnitz verfüge „als einzige deutsche Stadt ihrer Größe über
keinen Fernverkehrsanschluss – und das schon seit Jahren“, kritisiert die stellvertretende Bundesvorsitzende des
Fahrgastverbandes Pro Bahn.
„Immerhin ist Chemnitz eine Großstadt mit 245.000 Einwohnern, starker Industrie und Forschung sowie einer Technischen
Universität“, argumentiert Schmotz, deren gemeinnütziger Verein die Interessen der Reisenden gegenüber Verkehrsunternehmen,
Verwaltungen und Politikern vertritt. Zudem werde von dort aus fast das gesamte Erzgebirge mit der Bahn erschlossen. Somit sei
ganz Südwestsachsen vom attraktiven Fernverkehr abgekoppelt, sagt die Frau, die selbst aus der Region stammt. Ihre Heimat
besäße damit „ein trauriges Alleinstellungsmerkmal in Deutschland“.
Dabei war dort Ende Oktober ein anderes Alleinstellungsmerkmal gefeiert und die westsächsische Metropole zur Kulturhauptstadt
gekürt worden. Eine Hauptstadt ohne Fernverkehr – für den sächsischen Bundestagsabgeordneten Wolfgang Wetzel (Bündnis
90/Grüne) Grund für eine Anfrage an die Bundesregierung. Ist die Stadt dem erhofften Touristenansturm überhaupt gewachsen?
Oder bleibt er mangels guter Schienenanbindung sogar aus?
Zwar soll die Strecke zwischen Leipzig, wichtigster Bahnknoten im Osten, und Chemnitz bis 2028 zweigleisig ausgebaut und
elektrifiziert werden, aber für den großen europäischen Auftritt käme das drei Jahre zu spät. „Die Priorisierung und Terminierung
der Maßnahmen ... obliegt der Zuständigkeit des Freistaats Sachsen“, antwortet Enak Ferlemann, Parlamentarischer
Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Hierzu liefen Abstimmungen mit der Deutschen Bahn.
Es sei „ernüchternd“, dass die Bundesregierung offensichtlich keine konkreten Pläne habe, die neu gekrönte Kulturhauptstadt
direkt an den Schienenfernverkehr anzuschließen, reagiert Wetzel. „Mehr noch: Die Bundesregierung drückt sich gemeinsam mit
der Deutschen Bahn vor einer klaren Aussage und schiebt die Verantwortung an den Freistaat Sachsen ab. Niemand möchte
zuständig sein. Das ist schwer zu akzeptieren.“ Und ausgerechnet 2025 sei eine Totalsperrung der Strecke mit
Schienenersatzverkehr vorgesehen, beruft sich Wetzel auf die Deutsche Bahn. Dazu dürfe es nicht kommen, warnt er und
verlangt, die Ausbaupläne vorzuziehen.
Anja Schmotz von Pro Bahn hält das für nicht umsetzbar, die Planungs- und Bauzeiten im Schienenverkehr seien bekannt.
„Sachsens Landespolitik hätte viel eher und mit viel mehr Nachdruck auf den Ausbau der Strecke Leipzig–Chemnitz drängen
müssen“, kritisiert sie. Insbesondere fehlten regelmäßige Direktverbindungen nach Berlin und der Anschluss an internationale
Flughäfen. Auch sei Chemnitz „fast nur mit umständlichen Umstiegen erreichbar“, da die Verbindungen höchstens bis knapp hinter
Sachsens Grenze reichten.
Zudem wurde gerade die Entscheidung des Zweckverbands Mittelsachsen (ZVMS) bekannt, den Regionalexpress 1 Göttingen–
Glauchau auch nach 2021 nicht bis Chemnitz zu verlängern. Jährliche Mehrausgaben von 2,7 Millionen Euro wären für den ZVMS
allein zu viel gewesen, heißt es dort.
Doch wer ist in der Pflicht: Bund, Land, Bahn? Regionalverkehr ist Ländersache, Fernverkehr Aufgabe des Bundes. Er wird von
den Bahnunternehmen eigenwirtschaftlich erbracht. „Das Zeigen diverser Bundestagsabgeordneter auf den Bund bringt nichts,
weil die gesetzlichen Grundlagen klar sind“, sagt Anja Schmotz. Vielmehr sperre sich der Bundestag seit Jahren gegen ein
Gesetz, das es ermöglicht, auch Fernverkehr zu bestellen und mit Steuergeld zu finanzieren, so die Pro-Bahn-Frau.
Die Forderung, Chemnitz besser anzubinden, sei seit Jahren Wunsch des Freistaats und im Koalitionsvertrag sowie im
Landesverkehrsplan 2030 festgeschrieben, heißt es auf SZ-Anfrage aus Sachsens Verkehrsministerium. Ziel sei es, „Chemnitz
spätestens im Sommer 2022, deutlich früher als 2025, an den Fernverkehr anzubinden und den nicht akzeptablen Zustand,
resultierend aus Entscheidungen in den 90er-Jahren, endlich zu beenden“.
Fernverkehr aus München und via Leipzig sei mangels Infrastruktur aber erst langfristig möglich, dämpft das Ministerium zu große
Erwartungen. Man habe bereits vor der Chemnitzer Bewerbung alternative Möglichkeiten untersucht, Ergebnisse nennt die
Behörde nicht. Nach ihren Informationen soll es 2025 aber keine Streckensperrung geben. Mit der Finanzierung der Vorplanung
zwischen Leipzig und Geithain trage Sachsen bereits zur Beschleunigung bei, heißt es auf die Frage, was der Freistaat tun
könne. Mehr Tempo werde durch das „Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz“ erwartet, heißt es im Beamtensprech. Damit
könne der Bundestag per Gesetz statt eines Verwaltungsakts Baurecht herstellen. Das Strukturstärkungsgesetz regele
ausdrücklich, dass es sich um Infrastrukturprojekte des Bundes handelt. Daran ändere die Mitwirkung der Länder nichts.
Sachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) habe unlängst bei einer gemeinsamen Kabinettssitzung mit der
Bundesregierung gegenüber Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) „erneut deutlich gemacht, dass die Strecke Leipzig Chemnitz allerhöchste Priorität hat“.
Die Deutsche Bahn als ausführendes Organ verweist auf die Initiative zum Deutschlandtakt. Nach Elektrifizierung der Strecken
Hof–Regensburg, Weimar–Gera–Gößnitz und Leipzig–Chemnitz sei die Chemnitzer Anbindung über die Linien Rostock–Berlin–
Dresden–Hof–Regensburg–München sowie Aachen–Düsseldorf–Kassel–Erfurt–Gera–Jena und Norddeich–Emden–Hannover–
Leipzig geplant, heißt es auf Anfrage. Die Milliarden für den Strukturwandel in den Kohleregionen machten nun den Ausbau der
Strecke Leipzig–Chemnitz über Bad Lausick möglich.
Aber: Wegen der Abläufe im Zusammenhang mit dem Strukturstärkungsgesetz „lässt der aktuelle Planungsstand des Projekts
keine Inbetriebnahme zum Jahr 2025 zu“, räumt eine Bahnsprecherin ein. „Gleiches gilt für die Elektrifizierungsprojekte Hof–
Regensburg und Weimar–Gera–Gößnitz.“ Zur Verlängerung der IC-Linie Rostock–Berlin–Dresden nach Chemnitz schon vor
Abschluss der Elektrifizierung im Bayerischen führten DB, Sachsens Verkehrsministerium und der Verkehrsverbund
Mittelsachsen Gespräche.
Während ICEs zwischen Hamburg und Berlin seit gut einer Woche im Halbstundentakt verkehren, wäre die Kulturhauptstadt in
spe schon mit weit weniger zufrieden. Sachsens Verkehrsministerium hat mit Blick auf 2025 dennoch keine Bedenken. „Aus
verkehrlicher Sicht werden die Voraussetzungen von Chemnitz als sehr gut eingeschätzt“, heißt es. Mit der hohen Dichte an
Nahverkehrsangeboten und der angestrebten Fernverkehrsanbindung sei „die Mobilität der Besucherinnen und Besucher
selbstverständlich gewährleistet“.
Vorschläge von Pro Bahn
Verlängerung IC Rostock-Dresden bis Chemnitz, nicht nur am Tagesrand, sondern als regelmäßiger Verkehr;
Verlängerung IC Köln/Düsseldorf–Kassel–Erfurt–Weimar–Gera bis Chemnitz (zwischen Erfurt und Gera mit Dieselloks, die bis Chemnitz
fahren);
Eine im Takt verkehrende Direktlinie Chemnitz–Riesa–Elsterwerda–Berlin mit Anbindung des Hauptstadtairports BER als Regional- oder
Fernverkehr. Die Strecke ist komplett elektrifiziert.
Verlängerung der Regionalexpresslinie RE1 Göttingen–Glauchau bis Chemnitz;
Umsteigefreie Verbindung von München nach Chemnitz mit Lokwechsel in Regensburg und Hof, bis diese Strecke vollständig elektrifiziert
ist."
Fazit:
Projekte bei der Bahn: 10 Jahre diskutieren, 10 Jahre planen, 10 Jahre bauen - z.Zt. immer noch in der Diskutierphase
So, wie der eigenwirtschaftliche Fernverkehr hierzulande bezüglich Verlässlichkeit in den letzten Jahren agiert, bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob man sich das überhaupt wünschen soll, zumal dann, wenn dafür ggf. auch noch die meist recht verlässlichen RE-Verbindungen ausgedünnt werden müssen.
Einerseits hatte man zum Beispiel über Monate und Jahre hinweg größere Probleme mit einem Teil der IC2-Flotte, wodurch es im Südwesten Deutschlands immer wieder zu massiven Zugausfällen und größeren spontanen Verspätungen im Fernverkehr kam. Erst jetzt hat man sich offenbar entschlossen, ausreichend Ersatzzüge einzusetzen. Zwischenzeitlich war das aber oft nicht der Fall. Mir fehlt der Glaube, daß man in ähnlichen Fällen künftig besser agieren würde.
Andererseits ist gerade auch auf den Außenästen der Fernverkehrslinien offenbar generell die Hemmschwelle ziemlich gering, Züge einfach ausfallen bzw. vorzeitig enden / später beginnen zu lassen, sobald irgendwelche Probleme auftreten. Als Ersatz wird dann gern auf den Nahverkehr verwiesen.
Pönalen gibt es im Fernverkehr halt keine, weil es keine Besteller gibt. Dem Fernverkehr klopft also außer dem Fahrgast selbst niemand auf die Finger. Die Priorität bei notwendigen Problemlösungen wird also im Zweifelsfall sich immer hauptsächlich an der größten Nachfrage orientieren bzw. wo es am meisten wehtut. Dazu wird Südwestsachsen nicht gehören, fürchte ich.
Ich habe große Zweifel, ob ein flächendeckender Deutschlandtakt als Kombination aus eigenwirtschaftlich betriebenem bzw. nur abschnittsweise bezuschusstem Fernverkehr und dem kleinteilig durch Aufgabenträger ausgeschriebenen, von verschiedensten Subunternehmen betriebenen Nahverkehr überhaupt in der Praxis verlässlich funktionieren kann. Zumal auch noch bei der Infrastruktur vieles ungünstig organisiert ist und im Argen liegt.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas M.

Hallo,
ein Thema mit vielen Unbekannten.
Zunächst glaube ich, dass der erhoffte Touristenansturm für die Kulturhauptstadt Chemnitz wohl eher eine fromme Hoffnung bleibt, schön wenns anders wäre.
Und die von den unterlegenen Städten angeschobenen Querelen um Schiebung der Vergabe lässt da noch einiges erwarten, aber eine schlechte Presse ist vielleicht besser als gar keine.
Zum Deutschlandtakt sind die Erwartungen sicher zu hoch geschraubt. Wenn man sich das ganze Konvolut, was dazu im Internet zu lesen ist, zu Gemüte führt, ist das Projekt in dieser Form mit soviel Unbekannten behaftet , dass das Ganze zum Scheitern verurteilt ist. Eines der grössten Probleme ist das derzeitige Verantwortungschaos. Da ist meinem Vorschreiber nur zuzustimmen.
Aber man sollte einfach mal klein anfangen, ich erinnere hier mal, wie das S-Bahnprojekt Halle/Leipzig (1967 ?) auf die Beine gekommen ist.
Partei und Regierung legten fest: Wir brauchen jetzt einen S-Bahn zur Beförderung der Werktätigen im Grossraum Leipzig/Halle. Nach vielen Querelen legte dann der Präsident der Rbd Halle fest: Wir malen die Wagen rot an und schreiben S-Bahn drauf und los gehts. Die Obrikeit war zufrieden, das Ganze hatte aber anfangs mit einer S-Bahn nichts zu tun. Und heute nach über 50 Jahren....
Intern hiess das Unternehmen die "Hetzbahn", weil der Präsident der Rbd Halle Hetz hiess.
Die Idee, die Doppelstockzüge von Warnemünde über BER nach Chemnitz durchzubinden, halte ich für ganicht so schlecht, wenn es dafür einen Bedarf gibt.
Und wenn man nach einem Halt in Dresden-Mitte direkt über Altstadt auf die DW einschwenken würde, könnte man 15 Minuten Fahrzeit sparen (ähnlich mal der Fahrzeiten des Städteschnellverkehr).
Noch charmanter wäre eine Zugteilung in Elsterwerda mit einem Flügelzug über Riesa Döbeln nach Chemnitz (aber das gehört schon wieder ins Reich der Utopie).
Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
In diesem Sinne ein schönes Fest
wünscht Euch allen
Bärenteich

Bis heute ist noch nicht raus, ob Leipzig jemals wieder durchgehend an Südwestsachsen und Franken angeschlossen wird. Glaubt da echt jemand, dass Chemnitz ausgerechnet aus Richtung Leipzig Fernverkehr sehen wird? Natürlich wäre dies sinnvoll mit Blick auf die Bedeutung des Knoten Leipzig. Aber auch Dresden darf hierbei nicht außer Acht gelassen werden. So richtig viel getan hat sich auch im Hinblick auf die Elektrifizierung nach Nürnberg und Regensburg nicht. Wenn, dann halte ich eine Anbindung von Chemnitz von und nach Dresden in Richtung Franken für realistischer. Grüße vom Seb

Hallo,
Passend zum Thema ein lesenswerter Artikel in Eisenbahn-Kuriier 5/21 "Integriertes Bahnsystem Glaubensfrage, Verständnisfrage, Sicherheitsfrage"
Die Autorengemeinschaft der "Ehemaligen des Maschinenamtes Heibronn" hat sich sehr umfassend zur Strukturreform der Bahn geäussert.
Wer es nachlesen will: In youtube den Suchbegriff "Maschinenamt Heilbronn" eingeben, dann findet man den Artikel ungekürzt.
Auch interessant im EK 5/21:
"Neue Fahrplansoftware bei der DB-Netz Vorprogrammiert an der Realität vorbei"
Über soviel Sinn und Unsinn im Güterzugverkehr kann man nur staunen, wer da überhaupt noch eine Güterzugfahrt bestellt, den kann man nur noch bewundern.
Gruss vom Bärenteich