Senile Bettflucht oder kindlicher Drang, wer weiß. Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem ließ mich am Brückentag dem 30.Mai vor sechs den Wecker stellen. Warum ist leicht zu erklären, eine Bahnfahrt wie zur Jahrtausendwende stand auf dem Programm. Keine Sonderfahrt, nein ganz normaler Planverkehr, aber mit Wagenmaterial einer endenden Ära. Das erste Stück unserer Reise musste allerdings mit dem Auto zurückgelegt werden. Von Aue ging es auf direktem Weg über den Erzgebirgskamm ins Egertal nach Chomutov. Hier wurde am örtlichen Bahnhof umgehend der Kaffeeautomat aufgesucht. Der Fahrkartenschalter war unser nächstes Ziel. Da wir keinen konkreten Plan hatten viel die Wahl auf das Tagesticket der tschechischen Bahn "Celodenní jízdenka". Der Erwerb war reine Formsache und so stand uns das Schienennetz unseres Nachbarlandes offen. Da der 30.05. ein ganz gewöhnlicher Arbeitstag in Tschechien war fiel unsere Wahl auf einen der SP Züge, (Spesny vlak) einer Art Eilzug zwischen den Schnellzügen auf der Strecke 130 Ústí nad Labem - Chomutov. Der Zug bestand aus klassischen Mitteleinstiegswagen und einer Knödelpresse als Zugpferd.
Kleiner Wermutstropfen, die Wagen haben bei ihrer letzten Aufarbeitung ihre klassischen Übersetzfenstern verloren, welche durch Kipp-Fenster ersetzt wurden. Mit weit gekipptem Fenster ging es los. Durch das Stadtgebiet von Chomutov, vorbei am Zoo und dem Alaunsee Richtung Osten. Die Talsperre Jirkov und die Tagebaulöcher vom Most waren als nächstes zu sehen. Hinter Most dem ehemaligen Brüx und Teplice kamen nun die markanten Kegelberge des böhmischen Mittelgebirges zum Vorschein. Größter ist der Doubravská hora, ( Daubersberg, oder Teplitzer Schlossberg). Nach der Unterquerung der D8 von Dresden nach Prag kommt auch schon Ústí nad Labem in Sicht. Aussig an der Elbe, Zentrum der nordböhmischen Industrie sowie Verkehrsknotenpunkt der Region. Nach einer Stunde sind wir von der Eger an die Elbe gewechselt.
Erst mal Frühstücken, der Bahnhof bot allerhand an und so viel die Wahl auf klassische Hotdogs. Währenddessen rollten im Blockabstand Güter und Personenzüge durch das Nadelöhr an der Elbe. Eigentlich wollten wir nun weiter mit dem R681 nach Prag. Allerdings haben wir den anscheinend beim Bahnhofs Bummel verpennt und so nahmen wir den nachfolgenden R609 Krušnohor.
Das neue Wagenmaterial war zwar nicht unser Ziel, aber unnötig herumstehen in Ústí wollten wir auch nicht. Klimaanlage und nicht zu öffnende Fenster, dafür Laufruhe. Immerhin im letzten Wagen konnte man ungestört nach hinten die schöne Elbe Strecke beobachten. Nach etwas mehr als einer Stunde entlang von Elbe und Moldau lief unser Rychlik (Schnellzug) in der goldenen Stadt ein.
Praha hlavní nádraží 1871 von der k.k. priv. Kaiser Franz-Josephs-Bahn als Endpunkt der Strecke von Wien gebaut Ein imposanter Bau im Jugendstil mitten in der Millionenmetropole. Man muss nicht zwingend Eisenbahn verrückt sein wenn man den Bahnhof besuchen möchte. Das Flair der Schalterhalle im Jugendstil, entworfen von Josef Fanta oder die von ihr abgehenden Seitenflügel, versprühen einen Charm längst vergangener Tage.
Aber auch die in den 1970er Jahren errichtete neue Abfertigungshalle hat ihren ganz eigenen Reiz. Auf den 16 Bahnsteiggleisen herrscht emsiges Treiben. Nationaler und internationaler Fernverkehr trifft hier auf Vorortzüge. Namhafte Züge verbinden die Hauptstadt mit Deutschland / Österreich / Ungarn / Slowakei / Polen und und und. Für unsere Rückfahrt musste es nun aber endlich ein klassisches Übersetzfenster werden. Nach dem Studium der Fahrpläne stand fest, dass es der R682 mit Ziel Děčín über Ústí nad Labem sein sollte.
Noch war Zeit und auch der Zug war noch nicht eingetroffen. Also wurde noch ein wenig der Bahnhof inspiziert. Das Denkmal für Nicholas Winton fiel mir hierbei als erstes ins Auge. Sir Nicholas Winton war ein Brite, welcher kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs die Rettung von 669 Kindern jüdischer Herkunft vor dem Holocaust organisierte. Des Weiteren war da M296 1021 im alten Farbschema.
Interessant auch die zahlreichen Reisezugwagen verschiedenster Bahngesellschaften und Alters. Seitengang, Großraum mit und ohne Klimaanlage alles war zu sehen. Genauso bunt wie das Wagenmaterial war auch das Publikum. Neben dem klassischen Tschechen mit seinem Feierabend Bier, einer Lady in Gummistiefeln und Nationalitäten aller Herren Länder waren anzutreffen. Aber auch Gothic Girls, Business-Outfits und Mangas gab es zu sehen. Es wurde kurz um nicht langweilig. Das wachsame Auge meines Begleiters erspähte endlich unseren ersehnten Zug. Zielstrebig wurde jener erklommen und nach Piratenart ein klassischer Seitengang Wagen gekapert. Die Strecke 090 Praha–Děčín, ursprünglich als Teil der k.k. Nördlichen Staatsbahn erbaut und betrieben verläuft von Prag in den Tälern der Moldau und Elbe über Kralupy nad Vltavou, Roudnice nad Labem, Lovosice und Ústí nad Labem bis nach Děčín. Eine landschaftlich beeindruckende Reise am nun offenen Fenster konnte beginnen. Kurz nach dem Verlassen des Hauptbahnhofes wird der Vítkov (Veitsberg), ein 271 Meter hoher Hügel der Stadt, in einem Tunnel unterquert. Erster Halt war danach Praha-Holešovice. Der 1985 in Betrieb genommene Bahnhof ist neben dem Hauptbahnhof und dem Bahnhof Praha-Smíchov einer der wichtigsten Prager Fernbahnhöfe. Seit der Inbetriebnahme der Nové spojení (Neue Verbindung) im Jahr 2009 fahren die Züge von Holešovice aus auch den Hauptbahnhof an. Bis zur Inbetriebnahme dieser Neubaustrecke endeten beziehungsweise begannen die Züge am Bahnhof Praha Masarykovo nádraží.
Blick vom Karlínský viadukt zwischen den Prager Stadtteilen Holešovice und Karlín auf die Moldau.
Fußgängerbrücke in Řež über die Moldau Bahnkilometer 427,7 Praha–Děčín. Řež liegt elf Kilometer nordwestlich des Stadtzentrums von Prag an einer Moldau Schleife. Die Brücke verbindet das Dorf mit der Bahnstation.
720 567-7 der STRABAG in Kralupy nad Vltavou Bahnkilomerter 437.
Bohušovice nad Ohří Kilometer 488. Auf halber Strecke kreuzte wieder die Eger unseren Weg welche bei Litoměřice (Leitmeritz) in die Elbe mündet. Zuvor war bereits bei Mělník die Moldau in die von rechts kommende, wasserärmere und bis dahin kürzere Elbe gemündet.
Blick auf die Weinberge von Velké Žernoseky über die Elbe vom Bahnkilometer 499,0 aus.
Elbtal bei Prackovice nad Labem Bahnkilometer 502,2. Die Gegend ist auch bekannt als Porta Bohemica beginn des Elbdurchbruchs durch das Böhmische Mittelgebirge. Beidseitig des Flusses flankieren auf 1 km Länge steile, bis zu 100 Meter hohe Felswände die Elbe. Rechtselbisch befindet sich am Beginn des Engtals die markante Felsklippe des Dreikreuzbergs. An der Steillagen wurde einst auch Weinbau betrieben, verfallene Terrassen zwischen den Felsbereichen zeugen noch heute davon.
Schleuse Střekov in Ústí nad Labem mit der Burg Střekov (Schreckenstein) im Hintergrund ist erreicht. Die Masaryk-Schleuse wurde in der Jahren 1924 – 1936 gebaut. Sie gehörte zu den größten in der Tschechischen Republik und zu den modernsten im Europa. Direkt über der Elbe in 100 Meter Höhe befindet sich die Burg Střekov Wahrzeichen Nordböhmens. Erstmals erwähnt wurde der Schreckenstein im Jahr 1319. Bekannt geworden ist der Střekov vor allem durch das in der Galerie Neue Meister in Dresden befindliche Gemälde Überfahrt am Schreckenstein von Ludwig Richter.
Von Ústí nad Labem bis Chomutov nutzten wir wie bereits am Morgen einen Sp (Eilzug) welcher nachmittags bis Klášterec nad Ohří durchgebunden ist. Nach rund 350 Kilometern und jeder Menge Eindrücke zurück in Chomutov. Ein letztesr Blick in den Güterbahnhof wo 750 061-4 + 750 213-4 auf neue Aufgaben warteten danach wurde die Heimreise angetreten.